Fachkongress Mensch und Umwelt 29.10.2005
Rechtsprechung befasst sich zunächst rückwärts gerichtet mit abgeschlossenen Lebenssachverhalten, was im Zusammenhang mit dem Berufskrankheitenrecht zunächst bedeutet, dass der Klägerin bzw. dem Kläger zu seinem Recht verholfen wird. Gleichzeitig bedeutet jedoch Rechtssprechung im Berufskrankheitenverfahren vor allen Dingen Prävention - eine Aufgabe, die im ?Sbrigen auch den Berufsgenossenschaften vom Gesetzgeber ausdrücklich übertragen wurde. Leider kommen die Berufsgenossenschaften diesem Auftrag des Gesetzgebers nur äu?xerst schleppend nach. Nach wie vor besteht insoweit eine gezielte negative Einflussnahme von oben, was wir gerade an dem Fall eines Landwirts erleben konnten, dessen Parkinsonerkrankung nach einem langen Rechtsstreit in der zweiten Instanz vom Landessozialgericht Mainz mit einem Anerkenntnisurteil endete.
Diese für andere vergleichbare Berufskrankheitenverfahren, aber auch für die Prävention äu?xerst wichtige Entscheidung war nicht einmal bei der Zentrale der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft in Kassel bekannt. Hier bestätigt sich wieder, dass die Einflussnahme derer, die kein Interesse daran haben, dass derartige Entscheidungen publik werden, nach wie vor gro?x ist. Hier ist noch viel ?ffentlichkeitsarbeit gefordert. Trotzdem - dies will ich den drei Fallgruppen der Berufserkrankungen über die ich kurz sprechen will, voranstellen - hat sich in den letzten Jahren auch in der Rechtsprechung, aber auch in der so genannten eher konservativen Fachliteratur, auf die wir letztendlich zumindest teilweise in den Berufskrankheitenverfahren wie auch in den gerichtlichen Verfahren angewiesen sind, geändert.
So wurde z.B. in der auf dem Gebiet der herrschenden Arbeitsmedizin führenden Fachzeitschrift ASU im Oktober dieses Jahres unter Hinweis auf das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin unter der ?Sberschrift "Weniger Gift im Flugzeug" mehr oder weniger unstreitig darauf hingewiesen, dass die bisher eingesetzten Schädlingsbekämpfungsmittel, insbesondere Pyrethroide, Gesundheitsschäden verursachen. Es hei?xt dort:
"Das BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) und seine Vorgängerinstitution das BgVV weisen seit Jahren darauf hin, dass diese als 'in flight spraying' bekannte Art der Bekämpfung krankheitsübertragender Insekten im Flugzeug gesundheitlich bedenklich ist."
Und noch ein anderes Beispiel aus dem ebenfalls eher konservativen Deutschen ?rzteblatt, wo es zum Thema dauerhafte neurologischen Schäden durch Insektizide im April diesen Jahres hei?xt:
"Die neurologischen Beschwerden standen nicht unbedingt in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Exposition. Das bedeutet, dass frühere Mittel noch bis heute nachwirken könnten."
Eine generelle Tendenz auch in den Hochschulen und in den von dort vorgelegten Veröffentlichungen, die die chronischen neurotoxischen Belastungen des Menschen zunehmend ernster zu nehmen scheinen, ist letztendlich sicherlich ein Verdienst all derer, die aufgrund jahrelanger Verfahren Informationen zusammengetragen haben, an denen letztendlich niemand mehr vorbeikommt. Zu bedauern ist, dass nicht nur die Verwaltungsverfahren vor den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen oft Jahre in Anspruch nehmen, sondern dass auch die gerichtlichen streitigen Verfahren bis zu zehn Jahre dauern können. Trotzdem ist es dann erfreulich, wenn in einem solch langen Verfahren wie etwa vor kurzem die schwere Berufskrankheit eines Lehrers vom Verwaltungsgericht anerkannt wird, der in einer PCB-belasteten Schule, die zwischenzeitlich abgerissen wurde, gearbeitet hat.
Zum besseren Verständnis der Berufskrankheitenverfahren will ich Ihnen zunächst einen kurzen ?Sberblick über die Konstruktion dieser Verfahren geben:
Die Anerkennung einer Berufskrankheit setzt im Wesentlichen drei Dinge voraus:
Zunächst muss eine am Arbeitsplatz vorhandene oder vorhanden gewesene Exposition gegenüber bestimmten Stoffen, die in der Berufskrankheitenverordnung einzeln aufgezählt sind, vorgelegen haben. Diese muss dann bei einem Versicherten entweder eine bestimmte Erkrankung oder irgendeine Erkrankung verursacht haben. Beides - die Exposition wie auch die Erkrankung - muss auf dem Wege des so genannten Vollbeweises nachgewiesen werden, d.h. der Kläger muss zur sicheren ?Sberzeugung des Gerichts beides nachweisen. Darüber hinaus muss zwischen der im Vollbeweis nachzuweisenden Exposition und der ebenfalls nachgewiesenen Erkrankung des Klägers ein Kausalzusammenhang bestehen, wo es anders als bei der Exposition und der Erkrankung ausreicht, dass mehr für einen solchen Zusammenhang spricht als gegen diesen Zusammenhang.
Sinn und Zweck des gesamten Berufskrankheitenrechtes, welches seit Beginn des 19. Jahrhunderts besteht, ist, dass derjenige, der bei der Ausübung seines Berufes erkrankt, unabhängig von einem möglichen Verschulden dritter Personen etwa seines Arbeitgebers oder auch anderer, finanziell entschädigt werden soll. Dies betrifft letztendlich alle Berufsgruppen, d.h. alle Menschen, die zum Wohle der Allgemeinheit ihren Beruf ausüben. Dazu gehören auch die drei Berufsgruppen, über die ich heute in der Kürze der Zeit sprechen will, die Landwirte, das fliegende Personal und Menschen, die überwiegend in Büros arbeiten.
Zunächst zur Landwirtschaft:
Im vergangenen Jahr hat das Landessozialgericht Mainz nach einem über achtjährigen Berufskrankheitenverfahren die Parkinsonerkrankung eines Landwirts als Berufskrankheit rechtskräftig anerkannt. Besondere Schwierigkeit war in diesem Verfahren zunächst die Tatsache, dass in der Medizin bisher überwiegend die Meinung vertreten wurde, die Parkinsonerkrankung sei eine idiopathische Erkrankung, d.h. eine Erkrankung, die ohne äu?xere Einflüsse aufgrund der speziellen, auch genetischen Konstitution des Erkrankten entsteht. Es gab zwar schon seit vielen Jahren Studien, die zu dem Ergebnis kamen, dass insbesondere bei Landwirten eine überproportionale Häufung von Parkinsonerkrankungen auftraten. Wegen des hohen neurotoxischen Potentials fast aller Pestizide sind derartige Ergebnisse zu erwarten, es folgten dann jedoch wie üblich von anderer interessierter Seite in Auftrag gegebene Studien, die zu völlig anderen Ergebnissen kamen.
Trotz dieser bisher meist für die Berufsgenossenschaften günstigen Situation - der Streit in der Wissenschaft führt meist dazu, dass der Kläger beweisfällig bleibt - kamen Gutachter in diesem Rechtsstreit zu dem Ergebnis, dass im Falle des Klägers, dessen Parkinsonerkrankung bei nachgewiesener entsprechender hoher Exposition über viele Jahre hinweg bestand, diese mit weitaus überwiegender Wahrscheinlichkeit durch die Anwendung von Pestiziden in seinem Beruf verursacht worden sei.
Schlussendlich war für das Gericht aber auch für die Beklagte landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft der in früheren Verfahren immer wieder bestrittene Zusammenhang derart deutlich, dass es zur Anerkennung der Berufskrankheit kam.
Wenn wir auch in dem eben von mir erwähnten Zitat des Bundesinstituts für Risikobewertung betreffend Insektenbekämpfung in Flugzeugen gehört haben, dass das Problem zwischenzeitlich auch in der so genannten Schulmedizin anerkannt wird, fehlen bisher nicht nur aussagekräftige Studien, sondern darüber hinaus scheint auch durch den nicht unerheblichen Druck von Seiten der interessierten Kreise kaum wissenschaftliches Interesse zu bestehen, die Fragen der Schadstoffbelastung von fliegendem Personal in Hinblick auf mögliche Berufserkrankungen zu überprüfen. Es bleibt hier nur der leider mühsame und langwierige Weg im Einzelfall zu versuchen, die Anerkennung der Berufskrankheit zu erreichen. Die zumeist in der Kabine eingesetzten Insektizide dürften Pyrethroide und die ihnen beigefügten Synergisten sein. Bereits bei diesen Stoffgruppen besteht in der Arbeitsmedizin ein Streit darüber, ob Pyrethroide überhaupt in der Lage sind, beim Menschen Dauerschäden zu verursachen.
Hinzu kommt - das Problem besteht auch bei den Landwirten - dass das fliegende Personal bei der Ausübung seines Berufes nicht nur gegenüber Insektiziden, sondern auch gegenüber anderen neurotoxischen Stoffen exponiert ist. Dies sind nicht nur in erheblichem Ma?xe die unterschiedlichsten Flammschutzmittel, Weichmacher, leicht- und schwerflüchtige Lösemittel, Strahlungsbelastungen und nicht zuletzt durch Umgang mit Passagieren und Kollegen bedingter Stress. Hier müssten zusätzlich diese Kombinationswirkungen berücksichtigt werden. Noch schwieriger werden die Zusammenhangsfragen bei Mitarbeitern in Büros. Nur dann, wenn bestimmte Schadstoffe, d.h. Listenstoffe in Büroräumen in erheblichen Mengen vorhanden waren, kann es gelingen, eine Berufskrankheit in dieser Berufsgruppe zur Anerkennung zu bringen.
Vorstellbar ist dies etwa bei hohen Belastungen durch Schimmel, Holzschutzmittel oder aber in den Fällen, in denen Büros unmittelbar an Produktionsbereiche anschlie?xen, von denen z.B. hohe organische Lösemittelbelastungen ausgehen oder früher ausgingen. Bei Mitarbeitern in Büros und letztendlich bei allen, die in geschlossenen Räumen ihren Beruf ausüben, kommen schlie?xlich alle Listenstoffe als Grundlage für eine Anerkennung einer Berufskrankheit in Betracht, dazu gehören organische Lösemittel, Fungizide, Insektizide, PCB?s, Flammschutzmittel, biologische Belastungen etwa durch Keime und vieles mehr.
Ich habe vorhin schon auf den Fall hingewiesen, in dem vor kurzem die Berufskrankheit eines Lehrers anlässlich jahrelanger PCB-Belastungen anerkannt wurde.
RA Hildebrand Mehrgardt
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